Vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert hat die Hanse das Wirtschaftsleben in Nordeuropa geprägt – auch in Westfalen. Noch heute sind die Spuren dieser bewegten Zeiten in den westfälischen Hansestädten sichtbar.
Das Mittelalter war gefährlich. Vor den Mauern der Städte waren Recht und Gesetz oft nicht mehr als ein frommer Wunsch, Kaufleute mussten beim Transport ihrer Waren immer damit rechnen, dass Wegelagerer und geldhungrige Feudalherren ihnen die kostbaren Frachten streitig machen – oder happige Wegezölle kassieren. Grafen, Fürsten und Städte trugen ihre Meinungsverschiedenheiten gerne gewaltsam aus, Fehden, Überfälle und Belagerungen waren keine Seltenheit.
Wie unsicher die alten Zeiten waren, zeigen die aufwändigen Befestigungsanlagen, mit denen sich Städte und Adelsherren vor unerwünschten Besuchern schützen wollten. Die Mauer der Nord-Ost-Bastion des 1344 erbauten Schloss Fürstenau im Osnabrücker Land ist beispielsweise sechs Meter dick – damit konnten sich die Schlossbewohner unerwünschten Besuch gut vom Hals halten.
Die vor 800 Jahren errichtete Stadtmauer von Soest ist ebenfalls mehrere Meter breit – auf ihrer Krone hatten die Soester Bürger genug Platz, um bei Bedarf Wurfgeschosse, kochendes Wasser oder heißen Pech heranzuschaffen und auf Angreifer herabregnen zu lassen.
Europaweit gibt es nur zwei Städte, die einen baumbestandenen und begehbaren Stadtwall zu bieten haben. Lucca in der Toskana und Soest. Besonders schön und bei Spaziergängern beliebt sind die Wälle von Soest zur Baumblütezeit im April und im Mai. Auch in Herford ist der alte Stadtwall heute eine schöne Promenade.
Viele Städte errichteten auch in ihrem Umland Wallanlagen zur Verkehrskontrolle und zur Abwehr unerwünschter Besucher. Oft war so eine „Landwehr“ keine Mauer, sondern ein Erdwall mit Graben, Holzpalisaden und dichtem Bewuchs. Lemgo hat ein rund 65 Kilometer umfassende Landwehrsystem. Gräben, Wälle, Warttürme und Turmhöfe sicherten etwa 60 Quadratkilometer städtisches Gebiet. Eine Stadt, die so etwas im Mittelalter und der frühen Neuzeit konnte, brauchte schon ein etwas üppiger gefülltes Stadtsäckel.
Vom Wohlstand, den Handel und Gewerbe in die alte Hansestadt Brilon brachten, zeugt das um 1250 erbaute Briloner Rathaus, eines der ältesten in Deutschland. Der prächtige Bau mit seiner barocken Fassade war auch das Gildehaus der Briloner Kaufleute. In Dorsten erinnert das „Alte Rathaus“ aus dem Jahr 1567 an die Bedeutung der Lippestadt als regionalem Handelsplatz.
Auch in Rüthen gibt es noch viel sichtbares hanseatisches Leben: Historische Stadtmauer, Hexenturm, Hachtor, die historische Seilerei und das 1609 errichtete Kaufmannshaus Buuck. Dieses stattliche Fachwerkhaus ist mit einem dreistöckigen Dachspeicher ausgestattet. Die Querbalken am Giebel sind mit „Neidköpfen“ versehen. Das sollte früher fremde Missgunst abschrecken. Im gleichnamigen Café gibt es selbst gebackene Torten und handgerösteten Kaffee.
In Recklinghausen präsentiert die „Retro Station“ Zeugnisse der Stadtgeschichte. In Korbach, an der Grenze von Hessen und Westfalen, wird die Geschichte der Stadt im Wolfgang-Bonhage MUSEUM KORBACH präsentiert: Unter einem gemeinsamen gläsernen Dach finden ein gotisches Steinhaus mit unheimlichen Steinkammern, Fachwerkbauten des 18. und 19. Jahrhunderts und moderne Gebäudeteile zu einem neuen Ensemble zusammen. In Korbach und den anderen westfälischen Hansestädten können Besucher bei Stadtführungen und – ganz modern – mit Hilfe von Stadtführungs-Apps auf historische Entdeckungsreisen gehen.
Eine Reise in vergangene Jahrhunderte ist in Warburg und Marsberg besonders eindrucksvoll. Sieben Warttürme und die Stadtmauer lassen in Marsberg und Obermarsberg die bewegte Vergangenheit lebendig werden. In Warburg erzählen die Stadtmauer, fünf Wehrtürme und zwei Stadttore von Streit und Hader in tausend Jahren Stadtgeschichte. Unter anderem sind das Sacktor und das Johannistor heute noch im Original erhalten und zu besichtigen.
Zwischen Warburg und Kassel wurde 2010 die Holsterburg wieder entdeckt. Es ist die einzige mittelalterliche Burg in Deutschland mit einem achteckigen Grundriss – wie beim „Castel del Monte“ von Kaiser Friedrich in Sizilien. Zwei Brüder bauten die Festung 1191, um an der Straße von Warburg nach Kassel Wegezölle zu erheben. Den umliegenden Städten war die trutzige Mautstation ein Dorn im Auge, und 1294 erstürmten ihre Bürger die Holsterburg und zerstörten sie bis auf die Grundmauern.
Die ab 1226 erbaute Burg Blankenstein bei Hattingen liegt auf einem Felsen über dem Tal der Ruhr – von hier konnte Graf Adolf von der Mark nicht nur die Territorien schützen, die er Friedrich von Isenberg abgeluchst hatte, sondern auch die Kaufleute abkassieren, die ihre Waren in Flusskähnen auf der Ruhr transportierten. Der Stammsitz des im 13. Jahrhundert enteigneten Friedrich von Isenberg, die damals gleich mit zerstörte Isenburg, liegt ebenfalls auf Hattinger Stadtgebiet.
Ab dem 17. Jahrhundert machten immer stärkere Kanonen die mittelalterlichen Mauerwerke militärisch nutzlos und in vielen Orten wurden die alten Festungsanlagen abgebrochen. In Paderborn wurden die alten Mauern in Wohngebäude integriert – die seltsamen Mauerhäuser stehen noch heute. Auch zwei alte Stadttürme sind in der Paderstadt erhalten geblieben. Sie sind heute Orte der Kunst: Die Installation „plus ou moins“ (mehr oder weniger) von Francios Morellet am Maspernturm schaltet Leuchtstoffröhren ein und aus. Bei dem Lichtkunstwerk von Hans Peter Kuhn durchstoßen hell leuchtende Lichtlanzen den Heiersturm.
Dass es selbst dann viel über die Hanse und die steinernen Zeugen der Vergangenheit zu erzählen gibt, wenn nur noch wenig alte Substanz da ist, beweist die alte Hansestadt Kamen. Jeder Gang mit der Gästeführer-Gilde führt ganz bestimmt auch zum letzten Rest der Stadtmauer. Der ist gerade mal zehn Meter lang. Auch in Haltern am See ist nur noch der „Siebenteufelsturm“ und ein kleiner Mauerrest von der alten Stadtbefestigung übrig.
Weil die Kanonen größer wurden, machten Festungsbauten seit der Barockzeit nur noch Sinn, wenn sie ebenfalls XXL waren. In Wesel begannen die preußischen Landesherren 1668 mit dem Bau einer mächtigen Zitadelle, um ihre rechtsrheinischen Territorien vor den Franzosen zu schützen. Die Weseler Zitadelle ist eine der größten erhaltenen Festungsanlagen in Nordrhein-Westfalen. Die Weseler Hansegilde hat in dem historischen Bau eigene Räume, in denen Führungen und andere Veranstaltungen bei Bier, Brot und Kesselwurst gesellig ausklingen können.