Im Dom zu Paderborn quillt ein tiefer, kühler Brunnen, die Pader, von dem die Stadt ihren Namen hat. Der Brunnen ist wahrscheinlich als Hausbrunnen zur Bereitstellung von Wasser für die verschiedenen liturgischen Handlungen und als allgemeine Wasserversorgung angelegt worden. Möglicherweise würde er sogar über einer Quelle errichtet, womit man reines Quellwasser zur Verfügung hatte.
In den Plänen der ersten Baustufen des Domes ist der Brunnen nicht verzeichnet. Erst mit der Errichtung der Kapellen – überwiegend im 14. Jahrhundert – taucht er in Zeichnungen auf – jedoch ohne Namen. Die heutige Brunnenstube war wohl zunächst Teil der benachbarten Engelkapelle. Später dann wurde der Brunnenraum von der Kapelle abgeteilt und erhielt sowohl einen Zugang innen im Dom vom Hasenkamp aus wie auch von außen über eine Treppe an der Domnordseite. Betrachtet man das Mauerwerk im Inneren der Kapelle und seine Anbindung in die umgebenden Wände, wird deutlich, dass die Trennwand zur Engelkapelle nachträglich eingezogen wurde. Auch außen belegen die Bilder, dass die Treppe und der Durchbruch nach draußen in voller Höhe nachträglich angelegt wurden.
In einer Zeichnung älteren Datums ist der Brunnen als „Dompaderbrunnen“ bezeichnet. Das unterstützt die Vermutung einer unterirdischen Wasserader unmittelbar unter dem Brunnen. Bilder belegen nämlich, dass die beiden Brunnen östlich der Paderborner Kaiserpfalz mit dem Dombrunnen exakt auf einer Linie liegen.
An den „Dompaderbrunnen“ knüpft sich eine alte Sage:
Unten in dem Brunnen ruhen Schätze von Gold und Edelsteinen, die mehr wert sind als das ganze Paderborner Land. Niemand jedoch vermag sie zu heben, denn ein schwerer Bann hält sie von alters her gefangen. Aber auch ein steinernes Muttergottesbild ruht unten in der Tiefe. Über dieses hat der Zauber keine Macht, und jeder, der die richtigen Worte und die rechte Zeit weiß, kann das Bild herausholen. Wenn aber das Bild gehoben sein wird, kommt alles nur erdenkliche Glück über Haus, Stadt und Land, wo es sich befindet.
Ein alter Bischof von Paderborn hatte von diesem segenbringenden Muttergottesbild gehört und wollte um alles in der Welt in seinen Besitz kommen. Da meldete sich eines Tages ein Zauberer und versprach dem Kirchenfürsten, das Bild aus dem Brunnen herauszuholen. Er verlangte als Lohn nur die Erlaubnis, in dem von der Mutter Gottes gesegneten Land wohnen zu dürfen.
Der Bischof ging freudig auf diese Bedingung ein, gewährte dem Mann die gewünschte dreitägige Vorbereitungszeit und schritt am dritten Tage mit ihm in den Dom. Gerade als Mittag war, stellten sie sich an den Rand des Brun¬nens, und der Fremde fing an, nachdem er dem Bischof unbedingtes Schweigen auferlegt hatte, aus einem großen Buch halblaut zu lesen.
Nachdem er drei Zauberformeln, die eine noch stärker als die andere, gebraucht hatte, versiegte das Wasser im Brunnen, und die Treppe wurde sichtbar, die auf vielen Stufen hinabführte. Auf dieser stieg der Zauberer hinunter und verschwand am Ende durch eine kleine Tür im Brunnen. Es dauerte gar nicht lange, da kam er zurück und trug das schwere Steinbild, das ganz grau und verwittert aussah, auf seiner Schulter. So wie er heraufstieg, kam das Wasser langsam hinter ihm her, und als er ganz oben war, stand es gerade wieder so hoch im Brunnen wie vor der Beschwörung.
Ein unbeschreiblich angenehmer Duft ging von dem Muttergottesbild aus, welches der Bischof mit tiefer, heiliger Ehrfurcht in seine Hände übernahm und auf dem Hochaltar niedersetzte.
Da der Bischof gern erfahren wollte, ob der Zauberer auch die unermeßlichen Schätze unten im Brunnen gesehen hatte, fragte er ihn danach. Und der Fremde fing an zu erzählen von den wunderbaren Sachen, die er unten in der Tiefe gesehen hatte: von goldenen Palästen, von Gärten, in denen Diamantenblumen blühen, von Bächen edlen Weines, die über Rubinfelder plätschern.
Da erfaßte den Bischof das Verlangen, ebenfalls diese Schätze zu sehen. Obwohl ihm der Zauberer die großen Gefahren, denen er entgegenging, eindringlich beschrieb und ihn mit Tränen in den Augen bat, sein Leben und sein Seelenheil nicht aufs Spiel zu setzen, wollte der Bischof sein Vorhaben nicht aufgeben, und der Fremde mußte die Beschwörung zum zweiten Mal beginnen. Als der Brunnen leer und die Treppe wiederum sichtbar war, stieg der Bischof hinab.
Er ist aber niemals wiedergekommen. Zugleich waren der Zauberer und das Marienbild verschwunden. Der Brunnen quillt aber nach wie vor.