Wie ein magisches grünes Auge, das für kurze Zeit im Fluss aufleuchtet, den Wandelnden anruft, ihn an das Wasser und in die Tiefe lockt mit einem lautlosen Kreisen, wird im Wasser der Lippe in Intervallen ein grüner Strudel sichtbar. Ohne erkennbare äußere Ursache bildet er sich plötzlich auf der Wasserfläche, während das Wasser sich gleichzeitig langsam leuchtend grün färbt. Der Strudel gewinnt an Kraft, und parallel nimmt die Lichtintensität zu. Immer schneller dreht er sich und erinnert schon bald an seinen mächtigen Bruder über dem Meer: den Zyklon. Im Zentrum entsteht ein Loch, das Auge des Sturms oder auch ein Tor in eine andere Welt.
Danach beruhigt sich der Strudel langsam wieder, parallel erlischt auch das grüne Leuchten. Nach kurzer Pause und Stille – alles ist unscheinbar und nichts deutet auf ein Ereignis – wiederholt sich die leuchtende bewegte Erscheinung, jetzt allerdings als geräuschvoll sprudelnder Geysir, der uns eine aufregende Geschichte erzählen will: Die Geschichte von Undine, einem mythischen Wasserwesen, einer Seejungfrau. Man sagt, sie bringen Glück. Im Unterschied zu Nixen oder Sirenen, die Fremde mit ihrem geheimnisvollen Gesang anlocken und in die Tiefe ziehen, ist Undine ein freundliches Wesen, die ihr Leben für den Liebsten gibt anstatt ihn zu töten.
Undine begegnet uns an einem wenig bewegten Flussabschnitt, einem bogenförmigen Ende eines Seitenarms der Lippe, der Strudel wiederholt dort quasi die Rundung des Flussufers.
Nahe der Lippstädter Innenstadt wurde durch ein Kunstwerk ein Ort geschaffen, der zum Verweilen, zu Muße, Betrachtung, Kontemplation einlädt. Die Bedeutung des Flusses als Namensgeber, als “Fluß der Erinnerung“, als über die Pragmatik des Alltags hinaus weisende natürliche und mythische Ressource des städtischen Lebens wird durch Claudia Schmackes Arbeit als Teil der Lichtpromenade Lippstadt in besonderer Weise akzentuiert.
Mit Blick aufs Wasser und das Kunstwerk kann man sich am Ufer niederlassen, auf einer Bank verweilen und Kunst und Natur auf sich wirken lassen. Eins-sein mit der Natur zeigt sich auch in der Farbwahl des Lichts, das mit dem Grün der Bäume am Ufer verschmilzt.
Die Lippe als „Fluss der Erinnerung“ an eine ferne mythische Zeit, als die Menschen die Natur noch als belebt empfanden und sich mit der Natur und den Naturerscheinungen (in diesem Falle einem mythischen Wasserwesen,) verbunden fühlten. Undine kann also als Aufforderung der Künstlerin verstanden werden, in die Welt der Phantasie, in den Strudel der Sagen, Erinnerungen und in die Natur einzutauchen und sich „verschlingen“ zu lassen.