Der sogenannte „Stumpfe Turm“ heißt eigentlich Johannisturm und gehört als freistehender Glockenturm zur evangelisch-reformierten Pfarrkirche St. Johann. Die ursprüngliche Kirche an dieser Stelle wurde bereits im 8. Jahrhundert im Zuge der Christianisierung unter Karl dem Großen errichtet. Erst 2008 wurden auf dem dortigen Friedhof Tote gefunden, die ungefähr im Jahre 780 beigesetzt wurden. Der Turm ist allerdings Überbleibsel einer Kirche, die im 12. oder 13. Jahrhundert, also in der Zeit der Hanse, dort errichtet und 1638 während des Dreißigjährigen Krieges zerstört wurde. Durch wen oder warum dies geschah, ist bis heute noch nicht genau geklärt.
Bereits im Jahre 1605 gab es den Streit um die zweite Reformation, in dessen Verlauf sich die Bürger Lemgos erfolgreich gegen den Konfessionswechsel wehrten und mehrheitlich lutherisch bleiben konnten. Somit wurde St. Johann zu der verhassten, reformierten Kirchengemeinde und dementsprechend von den lutherischen Bürgern und der Stadt selbst schikaniert und diskriminiert. Schon vorher gab es immer wieder Vorschläge seitens der Stadt, wie man die relativ verwaiste Kirche vor den Toren anders nutzen könnte und mehrfach wurde ein Antrag auf Abbruch gestellt.
Nun gibt es hinsichtlich der Zerstörung im Jahre 1638 mehrere mögliche Erklärungen. Es kann zum Beispiel ein Befehl des Kaiserlichen Generals von Hatzfeld gewesen sein. Dieser wollte die Kirche im Zuge der Bedrohung durch die Schweden nicht als Stütz- und Beobachtungspunkt hergeben. Es ist aber fraglich, ob der Befehl ausgeführt wurde, da der Turm stehen blieb und gerade dieser als optimaler Beobachtungsposten für die Angreifer dienen konnte.
Zudem wurde die Kirche auf einem Stich aus dem Jahre 1663/65 lediglich als ausgebrannt dargestellt. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie bereits bei vorherigen kriegerischen Handlungen in Brand geraten ist. Dann müsste es aber fast 30 Jahre gedauert haben, bis die Kirche abgerissen wurde.
Die dritte mögliche Erklärung ist, dass einige lutherische Bürger die verhasste reformierte Kirche angezündet haben könnten.
Die Lösung des Rätsels im die Zerstörung könnte möglicherweise noch heute unter der Erde des Kirchhofes verborgen sein. Vielleicht wird auch dieses Geheimnis eines Tages gelüftet.
Quelle: Hentsche; Kramer; Pollmann: Der Kirchhof St. Johann vor Lemgo. In: Lippische Kulturlandschaften (Bd. 20). Detmold 2011.