Auf einer Welle im Kaufhaus surfen oder mit dem Allerwertesten gegen einen Stein stoßen – wer sich mit der aufregenden Geschichte der westfälischen Hansestädte auseinandersetzt, kommt schnell ins Staunen. Hier stößt man auf eigentümliche Traditionen und kuriose Orte.
Wo es Wasser gab, klingelten schon immer die Kassen der Kaufleute – denn Flüsse, Kanäle und Seewege sorgten dafür, dass der Handel bestens florieren konnte. In der alten Hansestadt Osnabrück strömen die Menschen heute zu einem Wasser-Erlebnis der besonderen Art ins Kaufhaus L&T. Was sich hinter der Fassade des Warenhauses abspielt, hätten die Kaufleute sich in der mittelalterlichen Blütezeit bestimmt nicht vorstellen können: Auf der bis zu 1,40 Meter hohen stehenden „Hasewelle“ können Abenteuerfreudige und Sportbegeisterte sich beim Indoor-Surfing austoben. Treppenstufen führen vom Erdgeschoss zum Wasserbecken, wo sich die stehende Welle befindet. Zuschauer können sich sowohl von der Tribüne als auch von den anderen Etagen des Kaufhauses das Surf-Spektakel anschauen. Viel spannender als Anschauen ist Mitmachen. Egal ob Anfänger, Fortgeschrittener oder Profi – in den 45-minütigen Surfslots mit verschiedenen Welleneinstellungen hat wirklich jeder Spaß! Einzeltickets gibt es ab 29 Euro.
Keine Wellen, dafür aber Sommer, Sonne, Sand und Palmen gibt es seit 2018 direkt vor dem Historischen Brakeler Rathaus. Zur Attraktivitätssteigerung der Innenstadt entstand im Jahr 2018 die ein überdimensionaler Stadtstrand mitten auf dem Marktplatz im Herzen der Stadt. Gut 100 Tonnen Sand auf einer Fläche von rund 180 Quadratmetern laden seither Besucherinnen und Besuchern aller Altersklassen jährlich für insgesamt sechs Wochen ein, die einmalige Sandlandschaft kostenfrei zu nutzen. Neben musikalischen, sportlichen, kreativen und kulturellen Events, die in Zusammenarbeit mit den örtlichen Vereinen, Institutionen und vielen Ehrenamtlichen realisiert werden, steht die gigantische Sandfläche natürlich auch den Kindern täglich zum Toben und Spielen zur Verfügung.
Ob das jüngst in Attendorn bei Bauarbeiten vor dem Rathaus gefundene Schiff jemals ferne Strände gesehen hat? Die fleißigen Bauarbeiter staunten bei Umbauten für den 800. Geburtstag der Hansestadt jedenfalls nicht schlecht, als vor ihren Augen eine gut erhaltene Hansekogge auftauchte. Das Schiff der hansischen Flotte sorgte auch bei den Heimatforschern für große Augen. Wie das Schiff von der Ostsee und über Soest einst den Weg nach Attendorn fand, müssen nun die archäologischen Untersuchungen klären. Schließlich wurde die Biggetalsperre erst in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts erbaut.
Definitiv aus dem Meer kommt ein kurioses Objekt, das bis heute die Wand in der Herforder Jakobikirche ziert. Die Kirchengänger fragen sich bis heute, wie der Rippenknochen eines Wals den Weg in die Kirche fand – schwammen etwa einst Wale durch Werre und Aa? Natürlich nicht! Die Geschichte der Walrippe geht zurück ins 16. Jahrhundert, als Kaufleute die führende Gruppe innerhalb der Herforder Bürgerschaft waren. Kaufmann, Ratsherr, Bürgermeister und Kirchenpatron Anton Brutlacht gilt als Stifter der Walrippe. Er soll die Rippe eines auf Juist gestrandeten Wales erworben haben und diese als Symbol des Hansabundes in der Jakobikirche aufgehängt haben. Dort hängt die circa 2,25 Meter lange Walrippe bis heute. Ihrem Aussehen nach stammt sie wahrscheinlich von einem Pottwal. Als Zeichen für die Wunder der Schöpfung wurde sie in der Kirche ausgestellt und ist dort heute immer noch zu bewundern.
Tierisch geht es auch in Korbach zu. Denn das inoffizielle Wappentier der Stadt ist – der Dackel! Dabei war der etwa 250 Millionen alte Sensationsfund eigentlich gar kein Dackel, sondern ein „säugetierähnliches Reptil“. Nur die Größe stimmt in etwa: Ungefähr 60 Zentimeter lang wird er gewesen sein und wackelte ganz dackelähnlich auf kurzen Beinchen durchs Leben. Der Korbacher Dackel heißt mit „richtigem“ Namen „Procynosuchus“. Das ist lateinisch und bedeutet in etwa „Zum-Hund-hin-Echse“. Der kleine Kerl vereint Merkmale der – evolutionsgeschichtlich betrachtet – „ursprünglichen“ Reptilien und der „fortschrittlichen“ Säugetiere. Die zweite Besonderheit ist, dass Wissenschaftler fossile Überreste des Procynosuchus bisher nur im südlichen Afrika gefunden haben. Korbach ist der einzige Nachweis auf der Nordhalbkugel. Die Wissenschaftler haben damit nicht nur einen Beweis für die Existenz von Pangäa, einem Riesenkontinent aus der Zeit, als Europa und Afrika (sowie alle anderen heutigen Kontinente auf der Erde) noch verbunden waren. Sie können sogar nachweisen, dass dieser Riesenkontinent schon vor 250 Millionen Jahren, als der Korbacher Dackel lebte, existiert haben muss.
Zu einem tierischen Streit kam es im Jahr 1986 in Recklinghausen. Als damals eine Bürgerinitiative an die wichtige Arbeit der Viehhirten erinnern wollte, ging der Auftrag einer Skulptur an den Bildhauer Josef Krautwald. Die von ihm gefertigten Modelle fanden aber keine Gnade in den Augen der städtischen „Kultursachverständigen“. Der Streit kochte hoch und führte zum bemerkenswerten Ergebnis, dass die Spendenbereitschaft der Bürgerschaft wuchs und Krautwald seinen Viehwächter in Stein hauen konnte. Das Verdikt der „Sachverständigen“ traf seinerseits auf das Unverständnis der Bürgerinnen und Bürger. Trotzdem schien die Entscheidungsmacht eindeutig: Der letzte Kuhhirte wurde vom geplanten Standort am Viehtor in eine nahe Kirche verbannt. Heute ist der Viehhirte – nach fast dreißig Jahren im Kirchenasyl – am Platz vor dem Viehtor in Recklinghausen zu besichtigen.
Nicht nur Rinder, auch Rehe, Hasen, Tauben, Hühner und viele Fische mussten 1605 für den Hansetag in Soest ihr Leben lassen, um die Mäuler der angereisten Abgesandten zu stopfen. Wie der Stadtsekretär Koep überliefert, wollte sich die Mutterstadt nicht lumpen lassen, als Abgesandte der untergeordneten Hansestädte Rüthen, Warstein und Medebach zu Besuch kamen. Zur Vorbereitung gingen die Bürger auf die Jagd und erlegten eine Hirschkuh „sambt einem kleinen Reheken“. Dann wurden die Fischteiche des Bürgermeisters leergefischt. Der Höker (Lebensmittelhändler) lieferte große Mengen Butter, acht Pfund grünen Käse, drei Pfund Speck und Salz. Der Bäcker verrechnete 14 Mark für Brot, der Fleischer karrte vier Hammel und 64 Pfund Fleisch für das westfälische Nationalgericht an: Pfeffer-Potthast. Außerdem brachte eine Magd noch einen Hasen vorbei. Dazu kommen Riesenmengen an Safran, Nelken, Zucker, Honig, Wein- und Bieressig und „anderer Unrath“. Gegen den Durst gab es Branntwein. Außerdem verfügte das Rathaus damals über einen eigenen Weinkeller. Dann ging es am 29. Mai 1604 endlich los: 18 Schüsseln mit Wildbret, ebenso viele mit gesottenem Fisch, drei Wannen mit Gebratenem „von Rehe, samt Hasen, Tauben, jungen Hühnern, Lamm“. Für den Willkommens-Trunk wurden extra zwei kostbare Goldpokale aus der Kanzlei geholt. Türwächter, Köche und die kellnernden Stadt-Diener kriegten jeder seine Schüssel Potthast und eine Maß Wein. „Die Jägers haben bekommen des Abends, wie sie das Wildprädt gebracht, 5 Flaschen Biers und des andern Tags zum Vertrinken eine Tonne Bier.“ Zielwasser? Anders als heute, da sich fast jeder genug Essen kaufen kann, waren solche Bröckchen vom Tisch der Reichen damals eine hochwillkommene Bereicherung des kärglichen Speiseplans der einfachen Leute. Doch der großen Masse der Soester ist bei diesen Festmählern nur das Wasser im Mund zusammengelaufen, ohne dass für sie etwas abfiel.
Festlich geht es auch beim alljährlichen „Schnadegang“ in Brilon zu. Hierbei handelt es sich um einem Stadtrundgang zur Kontrolle der Briloner Stadtgrenzen, der bis heute alle zwei Jahre stattfindet. Jeder, der sich ein „waschechter Briloner“ nennen möchte, muss diesen Gang einmal in seinem Leben mitmachen, so die Tradition. Das Briloner Brauchtum fand erstmals am 24. Juni 1388 statt.
Eine bedeutende Rolle bei der Schnade spielten die Schützen, die als waffentragende Organisation bei Grenzstreitigkeiten den Forderungen ihrer Stadt Nachdruck zu verleihen hatte. So wird der Schnadegang auch heute in das Schützenfest der St. Hubertusschützenbruderschaft Brilon eingebettet. Traditioneller Brauch während der Schnade ist das „Stutzäsen“. Vor allem Neubürger werden auf dem Frühstücks- oder Lagerplatz an allen Vieren gepackt, zum Schnadestein geschleppt und dort dreimal mit dem Allerwertesten gegen den Stein gestoßen mit dem Schlachtruf „Düt is alles use!“ (Das gehört alles uns). Dieser Brauch soll den Betroffenen an den Schnadestein erinnern, damit er diesen nicht vergisst. Über den Vorgang wird eine vom Bürgermeister unterschriebene Urkunde ausgestellt und der Buiterling (Neubürger) zum echten Briloner.
Dass Tradition nicht immer bis in die Gegenwart überlebt, zeigt die Geschichte des Klosters Bredelar. Im Jahr 1170 gegründet, wurde das Kloster, das in Folge eines Großbrandes und deren nötigen Umbauarbeiten in Geldnot geriet, im Jahr 1804 säkularisiert und ab 1826 zur Eisenhütte umfunktioniert. Mit dem Ende der industriellen Aktivitäten und den zum größten Teil brachliegenden Bauvolumen stellte sich Ende des 20. Jahrhunderts wieder die Frage nach einer Umnutzung. Klöster waren zu allen Zeiten auch Orte, in denen Handwerk, Kunst und Kultur entwickelt wurden. Daher entstand in Teilen des ehemaligen Klosters das Begegnungs- und Kulturzentrum Kloster Bredelar. Heute sind Messen, Konzerte, Krimi-Dinner, Kabarettveranstaltungen oder internationale Meisterkurse für Gesang eine gute Gelegenheit, die geschichtsträchtigen Räume und ihre Atmosphäre zu erleben.