• Stutzäsen, Potthast und ein Urzeit-Dackel
Recklinghausen Wappen Recklinghausen

Kirchenasyl für einen Viehhirten

Die spätmittelalterliche Hansestadt Recklinghausen ist noch heute mit dem neuzeitlichen Wallring entlang der alten Befestigungsanlagen, mit dem kleinteiligen Straßennetz der Altstadt sowie historischen, denkmalgeschützten Gebäuden präsent. Die fünf ehemaligen Stadttore, deren Straßenbezeichnung erhalten blieb, wurden 2017-2019 mit großen thematisch gestalteten Boden-platten, die jeweils Geschichte bis in die Gegenwart fortschreiben, wieder ins Bewusstsein gerückt. Das Viehtor erinnern z. B. Hansekoggen, beladene Kaufmannswagen und die Siluetten der Hansestädte Lübeck, Köln und Dortmund an die Entwicklung der „Hansestadt Recklinghausen“ zur heutigen Handelsstadt.

Bei der Gelegenheit erfuhr auch ein Viehhirte die verdiente Genugtuung, der Missachtung erfahren und nach der „Verbannung“ aus der Stadt vor ihren Toren Kirchenasyl gefunden hatte:

Das „Viehtor“ im Süden der Stadt verdankt seinen Namen den Tieren, die die Einwohnerschaft noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in ihren Häusern hielt. Sie wurden frühmorgens von städtischen Kuhhirten durch die „Breite Straße“ auf die Weiden vor der Stadt getrieben. Straßenbe-zeichnungen außerhalb der damaligen Stadt wie „Weide-straße“ oder „Milchpfad“ für den Weg der Melkerinnen erinnern bis heute daran.

Skulptur des Viehhirten Theodor Erlhoff

Im Jubiläumsjahr 1986 wollte eine Bürgerinitiative an die wichtige Arbeit dieser Viehhirten für die Ernährung der Stadt erinnern. Der Verkehrs-und Verschönerungsverein Altstadt plante, der Stadt zur 750-Jahr-Feier der Bestätigung der Stadtrechte ein Geschenk zu machen. Theodor Erlhoff (1831-1903), dem letzten Viehhirten in städtischen Diensten sollte an „seinem“ Viehtor ein Denkmal gesetzt werden. Als der Bauernsohn aus Speckhorn im Jahre 1900 aufhörte, war die Herde auf nur noch acht Tiere geschrumpft; aus dem Jahre 1869 war die Zahl 237 überliefert.

Der VV Altstadt und die Bürgerschaft sammelten Spenden, führten ab 1985 Ge-spräche mit Vertretern von Planungs-, Bau-, Kulturamt und dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit und suchten einen geeigneten Künstler. Den fanden sie in dem Bildhauer Josef Krautwald (1914 – 2003). Im Kreis Neisse 1914 geboren, besuchte er eine Holzschnitzerschule in Bad Warmbrunn, dann in der Bildhauerklasse von Prof. Thorak die Akademie der bildenden Künste in München und anschließend die Bildhauer-Klasse des Rodin-Schülers Prof. Albiker in Dresden. 1949 kam er nach Rheine, wo er sein Atelier gründen konnte. Die von ihm gefertigten Modelle fanden dann aber Anfang 1986 keine Gnade in den Augen der städtischen „Kultursachverständigen“. In den Erinnerungen des VV Altstadt war der Umgang mit dem Kunstwerk, dem Künstler und der Bürgerinitiative rüde und arrogant. Der Streit kochte hoch und führte zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass die Spendenbereitschaft der Bürgerschaft wuchs. Das Verdikt der „Sachverständigen“ traf seinerseits auf das Unverständnis der Bürgerinnen und Bürger. Trotzdem schien die Entscheidungsmacht eindeutig: Der letzte Kuhhirte wurde vom geplanten Standort am Viehtor aus der Stadt verwiesen. Im „öffentlichen Raum“, d.h. auf einem städtische Gelände, konnte er mit einer „Duldung“ nicht rechnen.

Informationstafel des Stadtmarketings „Die gute Stube“. Die Bodenplatten zur „Hansesstadt Recklinghausen sind im Hintergrund zu sehen.

In dieser Notlage trat die Evangelische Kirchengemeinde für den Vertriebenen ein. Unmittelbar vor dem Viehtor befindet sich die Gustav-Adolf-Kirche, als erste evangelische Kirche in der Stadt und dem Vest Recklinghausen um 1847 erbaut. Nun setzte sich die Kirche für den „kleinen Mann“ ein. Für die Erinnerung an Theodor Erlhoff wurde ein Quadratmeter Kirchenland vor der Eingangstreppe zur Kirche zur Verfügung gestellt – in unmittelbarer Sichtweite zum Viehtor in der Altstadt.

Hier also – draußen vor seiner Stadt, aber im sicheren Zufluchtsorts des „Kir-chenasyls“ – durfte der letzte Kuhhirte sein Aufstellung nehmen. Der Künstler Josef Krautwald konnte die aus einem 60 cm hohen Diabas erarbeitete Skulptur am 10. November 1986 aufstellen. Die Einweihung fünf Tage später entwickelte sich zu einem Bürgerfest mit Hunderten von Besuchern. Vertreten waren auch fünf Enkel und 27 Urenkel des Theodor Erlhoff.

Theodor Erlhoff hat inzwischen seit Jahrzehnten „sein Viehtor“ von außen fest im Blick. Im Jahr 2017 gelang es aber, ihm auch in der Altstadt, in der er an der Kellerstraße gewohnt hatte, eine Platz zu verschaffen: Anerkannt wurde seine Tätigkeit auf der neuen Informationstafel des Stadtmarketings „“Die gute Stube“ direkt am Steintor, die auch die Bodenplatte der „Hansesstadt“ vorstellt. Hier – auf städtischen Grund (!) – befindet sich seither die Abbildung der seinerzeit verfemten Skulptur und ein Hinweis auf ihren nicht weit entfernten Standort.

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