• Starke Frauen in der Hanse
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Die Lemgoer Kaufmannswitwe Anna Veltmans

In der Hanse spielten Frauen, vor allem da sie nicht rechtsfähig waren, keine Rolle; dort herrschte eine reine Männerwelt. Geschäftstüchtig waren die Kauf-mannsfrauen aber sehr wohl. Dass sie ihren Ehemännern zur Hand gingen, war keinesfalls unüblich. Wenn sich der Ehemann auf Geschäftsreise oder in Dependancen in anderen Ländern befand, führte oft die Ehefrau das Geschäft in Vertretung weiter. Auch Witwen konnten das Unternehmen weiterführen. Ein Verkauf wäre jedoch nicht rechtskräftig und nur durch einen Vormund durch-führbar gewesen.
In der Frühen Neuzeit ist die Kaufmannswitwe Anna Veltmans ein herausra-gendes Beispiel für Lemgo. Sie ist nicht nur eine der wenigen selbst- und eigenständigen Kauffrauen dieser Zeit, an ihrer Geschichte wird auch deutlich, wie gefährlich eine selbstbewusste Haltung und ökonomischer Erfolg damals für eine Frau werden konnte.

Anna Veltmanns wurde ca. 1604 in Lemgo geboren. In ihrem Geburtsjahr war ihr Vater Kantor am Lemgoer Gymnasium. 1607, als Anna etwa 3 Jahre alt war, wurde er, mit kurzer Unterbrechung bis zu seinem Tod, Pfarrer in St. Nicolai.
Als Pfarrerstochter kam Anna Veltmans aus einer angesehenen Familie. 1628, mit 24 Jahren, heiratete sie den Kaufmann Jakob Spruthe. Man kann davon ausgehen, dass sie sich in dieser Ehe alles aneignete, was sie als Kaufmanns-frau können musste, z.B. die Organisation des Geschäftshaushalts sowie die Anleitung des Dienstpersonals, und ihren Ehemann in Geschäftsdingen, zwar aus dem Hintergrund aber tatkräftig, unterstützte. Eine enge Zusammenarbeit des
Kaufmannsehepaars war die Regel, die Frauen agierten allerdings lediglich als „stille Teilhaberinnen“.
Ob Anna eine Schule besucht hatte, geht aus der heutigen Quellenlage nicht mehr hervor. Im Stadtarchiv Lemgo erhaltene, von Anna Veltmans ausgestellte Quittungen über empfangene Gelder und eigenhändig erstellte Schreiben, lassen aber eine flüssige Handschrift erkennen. Somit ist klar, dass sie Lesen, Schreiben und, für ihre Tätigkeiten unabdingbar, mindestens auch die Grund-rechenarten beherrschte.

Quittungen, ausgestellt von Anna Veltmans

1637 verstarb Jakob Spruthe und Anna Veltmans heiratete etwa ein Jahr spä-ter den Witwer Hermann Böndel, der, weil Anna Veltmans als geschäftstüchtige Frau und gute Partie galt, bereits 1638 um ihre Hand angehalten hatte. Böndel war der Sohn eines Krämers und Ladenbesitzers. Für ihn war die Heirat mit der Kaufmannswitwe Anna Veltmans, die über entsprechende Erfahrungen und Geschäftsbeziehungen verfügte und darüber hinaus einen Leinenhandel besaß, die Chance aufzusteigen und dem Kaufmannsamt beizutreten, was er 1639 tat. Böndel war außerdem Mitglied im Stadtrat und Kämmerer. Darüber hinaus war er als Siegelverwalter, zuständig für die sichere Verwahrung und Beaufsichtigung der städtischen Siegel, mit einem hohen Amt betraut.
Das Böndelsche Haus, das heute nicht mehr existiert, stand am Ostertor. Die Lage am Stadttor war für den direkten Handel mit den Weberinnen und Webern praktisch. Eine besonders exklusive Lage hatte das Haus aber nicht und reichte nicht an die von Häusern alteingesessener Patrizierfamilien heran. In der Nachbarschaft wohnten der Stadtwächter und der Scharfrichter.

1654 starb Hermann Böndel nach schwerer Krankheit und Anna Veltmans wurde ein zweites Mal Witwe. In Kaufmannsfamilien war es nicht unüblich, dass die Kaufmannswitwe das Geschäft bis zur Übernahme durch einen Sohn oder einen Schwiegersohn weiterführte. Durch ihre Mitwirkung an allen anfallenden Aufgaben, war sie mit diesen vertraut und gerade Anna Veltmans verfügte über genügend Wissen und Erfahrung.
Kurz nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes wurde Anna Veltmans, in Lemgo herrschte gerade die zweite Hexenprozesswelle (1653-1656), jedoch zum ersten Mal als Hexe verdächtigt. Man warf ihr vor, ihren Ehemann in Zusammenarbeit mit dem Teufel vergiftet zu haben. Sie floh daher 1564 zu Verwandten nach Bremen, konnte aber aufgrund der Unterstützung durch ihre Familie, vor allem wegen der Verteidigung durch ihren Sohn Arnold, der sie als Jurist vor Gericht vertrat, sowie gegen eine Kaution von 2000 Talern freigesprochen werden. Allerdings musste sie trotzdem zu regelmäßigen Verhören im Lemgoer Rathaus erscheinen.

Dass Anna Veltmans vor Gericht auf die Unterstützung durch einen rechtsgelehrten Mann angewiesen war, zeigt, dass ihre Handlungsfreiheit rechtlich eingeschränkt war. Frauen hatten kein Recht auf politische Teilhabe, da sie als rechtlich handlungsunfähig galten. Anna Veltmans muss ihre Unterschrift sogar unter ein Dokument setzen, in dem sie als „blöde, einfältige weibs Person“ bezeichnet ist, was durchaus dem damaligen Frauenbild entspricht und darüber hinaus zeigt, wie Frauen sich damals in bestimmten Situationen selbst herabsetzen mussten. Gerade ab dem 17. Jahrhundert, also zu der Zeit in der Anna Veltmans lebte, verschwanden die Frauen immer mehr aus der Öffentlichkeit, ihre Sichtbarkeit im Kaufmannsgewerbe und Handwerk reduzierte sich stetig, ihre Handlungsspielräume wurden immer mehr eingeschränkt. Das Selbstbewusstsein, die Selbstständigkeit und das Auftreten von Anna Veltmans widersprach also zunehmend dem gesellschaftlichen Konsens.

Dass die Handlungsfreiheit der Frauen damals rechtlich beschnitten war, zeigt auch ein Schreiben von Anna Veltmans vom 13.10.1657 (StA L, Best. A, Nr. 3655). Sie bittet darin um den Aufschub einer ihr vom Gericht gesetzten Frist, bis ihr Sohn wieder anwesend ist. Da Frauen als nicht rechtsfähig galten, war sie vor Gericht auf die Unterstüt-zung durch einen rechtsgelehrten Mann angewiesen.

Anna Veltmans war durchaus sehr gut in der Stadtgesellschaft und darüber hinaus vernetzt und stand durch vorteilhafte Heiraten ihrer Kinder, drei aus der ersten Ehe, eine Tochter aus der zweiten und drei Kinder, die Herman Böndel mit in die Ehe gebracht hatte, u.a. sogar in familiärem Verhältnis zu Bürgermeister Kleinsorge, sowie zu anderen Personen aus Akademikerkreisen. Um aber in die Kreise der alteingesessenen Lemgoer Patrizierfamilien aufgenommen zu werden, reichten die Kontakte nicht. Wirtschaftlicher Erfolg allein war nicht genug, um dazuzugehören. Als Hermann Böndel starb, waren die Weichen für eine angesehene soziale Position gelegt, aber noch nicht gefestigt. Witwe zu sein, bedeutete in der Frühen Neuzeit, besonders verbunden mit Armut oder fortgeschrittenem Alter, sozialen Druck. Die ungesicherte Situation brachte eine größere Gefährdung mit sich, als Hexe verdächtigt zu werden. Anna Veltmans hatte zwar einen guten Ruf, verlor 1654 jedoch nicht nur den Schutz durch einen Ehemann, sondern auch den, den ihr dieser als Ratsherr zusätzlich hatte geben können.

Im Laufe der Zeit wurden erneut Anschuldigungen und Gerüchte über sie laut. Mehrere der Hexerei beschuldigte Personen nannten Anna Veltmans Namen.
Auch ihr gutes Verhältnis zu ihren Bediensteten kam nicht gut an und gefiel vor allem den Ratsherren gar nicht, auch, dass sie guten Umgang mit ihren Lieferanten, den Leinewebern, führte. Anna Veltmans verstieß damit nicht nur gegen die Einhaltung sozialer Grenzen: Da arme Menschen ohnehin besonders schnell in den Fokus der Hexereiverdächtigungen gerieten, kam ihr der freundliche Umgang mit ihrem Dienstpersonal und ihren Lieferanten nicht zugute, als sie erneut der Hexerei beschuldigt wurde. Schließlich galt sie, weil sie Geld verlieh, als Bindeglied zwischen dem Teufel und unbescholtenen Mitbürgern.

Schwerwiegendster Auslöser für erneute Beschuldigungen war allerdings ein anderer: Man hatte in Lemgo Ende 1663 auf Bitten des Kaufmannsamtes die sog. Leggesozietät wiedereingeführt. Nur die Mitglieder dieser Sozietät sollten noch zum Leinenhandel berechtigt sein, womit man bezweckte, lästige Konkurrenz auszuschalten. Die Weberinnen und Weber waren somit verpflichtet, die Ware den Mitgliedern zur Prüfung vorzulegen und zum Kauf anzubieten. Anna Veltmans, die wenig von ständischen Vorrechten und Privilegien im Handel hielt, mit ihrer erfolgreichen Handelsstrategie auf Wettbewerb setzte, die Weberinnen und Weber zu ihren Handelspartnern machte und ihnen Vorteile bei einer längerfristigen Zusammenarbeit bot, verweigerte den Beitritt. Daraufhin wurde ihr der Leinenhandel 1663 verboten. Anna Veltmans wehrte sich jedoch. Ein Beitritt hätte für sie finanziellen Verlust bedeutet, außerdem die Aufgabe ihrer Selbstständigkeit und vermutlich eine künftige Bevormundung durch die anderen, männlichen Mitglieder. Als das Bürgermeisterpaar Dr. Henrich Kerkmann und Henrich Möller wieder abgelöst wurde, Nachfolger waren der Schwiegervater ihres Sohnes, Balthasar Kleinsorge und Anton Wippermann, wurde durch den neu gewählten Rat beschieden, dass sie weiterhin Handel mit Leinen treiben dürfe, auch wenn sie kein Mitglied der Sozietät war. Trotz allem forderte die Leggesozietät weiterhin ein Handelsverbot für Anna Veltmans; sie war eine erfolgreiche Kauffrau und ernst zu nehmende Konkurrentin.

Anna Veltmans Weigerung war für die Mitglieder der Sozietät die Gelegenheit, ihr ein unsoziales Verhalten nachzusagen. In der damaligen Zeit eine besonders gefährliche Anschuldigung, denn ein solches wurde Hexen nachgesagt. Eine Hexe strebe danach, sich auf Kosten der Mitbürgerinnen und Mitbürger zu bereichern und das Gemeinwesen zu schädigen, hieß es. Somit war der Grund für die erneute Anklage Anna Veltmans ein ökonomischer. Im zweiten Prozess wurde die Anschuldigung, Anna Veltmans sei für den Tod ihres zweiten Ehemannes verantwortlich, nur noch am Rande erwähnt, stattdessen ging es um ihr finanzielles Vermögen und ihren sozialen Aufstieg, der viel Neid hervorrief.
Anna Veltmans überschritt die ihr als Frau und durch ihren Stand auferlegten gesellschaftlichen Grenzen; sie der Hexerei zu bezichtigen, war eine willkommene Gelegenheit, sie loszuwerden. So wurde sie in der dritten Lemgoer Hexenprozesswelle eine der 200 verurteilten Personen. Zunächst eine durchaus angesehene Bürgerin der Stadt, wird sie nun zur „Communis salutis hostis“, zur Feindin des Gemeinwohls. Nach einem Geständnis unter Folter wurde Anna Veltmans 1665 hingerichtet; gegen die Zahlung einer entsprechenden Geld-summe war sie zum Tode mit dem Schwert begnadigt worden.

22.12.1665: Die Hinrichtung Anna Veltmans mit Begnadigung durch das Schwert wird beschlossen (StA L, Best. A, Nr. 3656)

 

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