So bewegt und vielseitig sich die westfälische Hanse in ihrer langen Geschichte als merkantiler Bund zeigt, so vielfältig sind auch jene Dichter und Denker vertreten, die sich in den Zentren des Handelsbundes niedergelassen und hier gewirkt haben. Neben Produktion, Dienstleistung und Handel blühten in diesen Städten eben auch Wissenschaft und Dichtung auf.
Reger Handel mit Waren und Dienstleistungen befördert auch den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch. In den Handels- und Hansestädten Westfalens hat denn auch so manche Geistesgröße ihren ersten Schrei getan, die prägenden Jahre ihrer Jugend, den Zenit ihrer schöpferischen Kraft oder den Herbst ihres irdischen Daseins erlebt. Der Bogen ist breit gespannt. Er reicht von lokalen Lyrikern und Erzählern bis hin zu Dichtern und Denkern, die es zu Weltruhm gebracht haben. Einige der ganz Großen sind in einer der bekannten Hansestädte geboren, haben hier ihre ersten Zeilen niedergeschrieben und damit ihren Ruhm begründet. Einige von ihnen sind später aufgebrochen, sind viel und weit gereist, haben sich an anderen Stellen der Welt niedergelassen. Dennoch waren und sind sie als Botschafter ihrer Heimat unterwegs und vertreten die Einzigartigkeit von Land und Leuten. Reiten wir auf dem Rücken des Pegasus von Ahlen nach Wipperfürth und schauen wir nach den Spuren von Poeten und Romanciers in den 48 Städten der westfälischen Hanse stammen.
Denkt man an Literatur aus Westfalen, dann steht Annette von Droste-Hülshoff aus dem jetzt zu Münster gehörenden Dorf Roxel immer im Mittelpunkt. Sie ist und bleibt der markanteste Bezugspunkt. Ihr Ruhm gründet sich auf der Novelle „Die Judenbuche“ sowie ihre Naturlyrik, Balladen und Gedichte, mit denen sie weit über ihre Zeit hinausweist. Sie hat einen festen Platz im literarischen Olymp.
Annette von Droste-Hülshoff hat es allerdings erst posthum zu weltweiter Anerkennung gebracht. Mit ihrem Namen und denen ihrer bekanntesten Kollegen und Zeitgenossen Levin Schücking, Christian Dietrich Grabbe und Ferdinand Freiligrath ist zugleich der Aufbruch zu einem westfälischen Selbstverständnis verbunden. Im Paderborner Land ist Friedrich Wilhelm Weber, der Dichter des Westfalenlieds und des Kloster-Opus „Dreizehnlinden“ unvergessen. Auch der 1904 in Berlin gestorbene Dichter-Vagabund Peter Hille und die deutsch-israelische Schriftstellerin Jenny Aloni haben ihre Wurzeln in der Region zwischen Paderquelle und Weserufer.
Der in Osnabrück geborene Erich Maria Remarque hat mit „Im Westen nichts Neues“ den Schlüsselroman des ersten Weltkriegs geschrieben. Gleich nebenan in Rheine wuchs Josef Winckler auf, er setzte mit dem Roman „Der tolle Bomberg“ dem exzentrischen und sehr reichen Baron Gisbert von Romberg und dem kauzigen Gründer des Zoos in Münster, Professor Landois ein literarisches Denkmal.
Stand im 19. Jahrhundert die literarische Suche nach einer westfälischen Identität, nach einem regionalen Selbstverständnis und nach einer spezifisch westfälischen Sprache und Sensibilität im Mittelpunkt, hat sich das literarische Schaffen inzwischen von der Beschränkung auf regionale Themen, der romantischen Verklärung von Heimat und der Bezugnahme auf Westfalen weitgehend emanzipiert, ist hinausgetreten in die Welt und erzählt mehr oder weniger originelle Geschichten wie von jedem anderen Ort der Welt auch – ohne allerdings die eigenen Wurzeln zu verleugnen.
In unserer Zeit sind Literaten und Bestsellerautoren hinzugekommen, die ihre Wurzeln ebenfalls in Westfalen und den Städten der westfälischen Hanse haben. Die Bestsellerautorin Cornelia Funke beispielsweise wurde 1958 in Dorsten geboren und Bernhard Schlink, um nur zwei der bekannteren Literaten anzusprechen, stammt aus der Nähe von Bielefeld, wo er 1944 das Licht der Welt erblickte. Die Bücher der beiden Autoren sind in viele Sprachen übersetzt worden, auf der ganzen Welt erhältlich und damit Beispiele für das breit gespannte Schaffen der Dichter und Denker aus Westfalen.
Vermutlich kann keine andere Region in Deutschland eine so lebendige Bewegung und Vielfalt von Literaten, Dichterinnen und Dichtern, Lyrikerinnen und Lyriker wie Westfalen vorweisen. Neben den klassischen literarischen Gattungen sind in den vergangenen Jahren ganz neue hinzugekommen. Literatur zeigt sich lebendiger denn je. Sie wird in Westfalen anders gepflegt und gehegt als anderswo. Intensiver und nachhaltiger. Die Bandbreite reicht dabei inzwischen vom verrückt, verspielten Poetry Slam, über Kriminalliteratur und Thriller bis zur experimentellen Literatur.
Nirgendwo sonst gibt es neben den Hochschulen und den Literaturvereinen eine solche Vielfalt an Vereinen, Institutionen, Organisationen, Museen und Stiftungen, die sich explizit der Förderungen, Erforschung, Dokumentation und Verbreitung von Literatur beschäftigen. Von dieser Vielseitigkeit gibt das Literaturportal-Westfalen ein beredtes Zeugnis. Alleine die hier zusammengetragene Literaturgeschichte Westfalens in Zahlen, Daten und Fakten, das Lexikon der westfälischen Autorinnen und Autoren sowie die Orte, an denen sich in Westfalen Literatur „ereignet“ hat, lässt einen staunen. Hier ist mit umfangreichen Wissen und großer Detailverliebtheit ein Schatz zusammengetragen worden, der vor allem eines vermittelt: Man möge sich mit Literatur befassen und möglichst viel lesen.
Wohlan, schwingen wir uns auf den Rücken des geflügelten Dichterrosses und heben wir ab zu einem Flug durch die Geschichte Westfalens und zu den Wirkstätten unserer Dichter und Denker.