Aufruhr, Umstürze, Widerstand und ein neues Selbstbewusstsein des Bürgertums. Die Reformation hat viele Gesichter. Es sind unruhige Zeiten – auch in den westfälischen Hansestädten. Allenortens ergreifen die Bürger die Chance, etwas zu verändern und sich gegen die Macht der katholischen Kirche zur Wehr zu setzen. Sie stürmen Kirchen und Klöster. Sie zerschlagen Altäre und Heiligenbilder – bis heute abzulesen an historischen Zeugnissen, Kirchen, Gebäuden und natürlich an vielen lokalen Geschichten, die die historischen Ereignisse spiegeln.
In Minden setzen die Bürger 1521 den Bischof kurzerhand vor die Stadt, weil dieser zur besseren Verteidigung der Stadt gegen die Reformation mehrere Viertel platt machen will. In Lemgo erinnert der sogenannte Apothekenerker daran, wie als Folge der Reformation ab 1533 nicht mehr die Klöster für die Gesundheit der Menschen verantwortlich waren, sondern die Städte.
Folgenreich für Lemgo: die Verabschiedung des Röhrentruper Rezesses von 1617. Nach der eigenständigen Stadtreformation kam es um 1600 zu einem massiven Konflikt zwischen der Stadt und dem Landesherrn, der sich durch den Übergang der Grafschaft Lippe zum reformierten Bekenntnis entzündet hatte. Im genannten Rezess wurde der Konflikt beigelegt und der Stadt weitreichende Selbstverwaltungsrechte garantiert, darunter der Verbleib beim lutherischen Bekenntnis und ein eigenständiges Kirchenregiment.
Nicht alle Ergebnisse des Vertrags in Lemgo waren positiv: Der Rezess ermöglichte die Hexenverfolgungen in der Stadt, behinderte die Stadtentwicklung zugunsten der Residenz Detmold. Das führte zu Konflikten zwischen Lutheranern und Reformierten in Lemgo. Noch heute erinnert das Hexenbürgermeisterhaus an diese Zeit.
In Korbach hat man sich zu Zeiten der Reformation erfolgreich gegen den Bildersturm zur Wehr gesetzt. Noch heute stehen in beiden gotischen Hallenkirchen Korbachs prächtige Hochaltäre, Sakramentshäuser und andere Kunstgegenstände, die man in vergleichbaren evangelischen Kirchen in Hessen vergeblich sucht. Eine große Ausnahme.
Einer der führenden Köpfe der Reformation in Nordwestdeutschland stammt aus der Hanse- und Burgmannstadt Quakenbrück. Im Jahr 1504 wurde hier Hermann Bonnus, einer der bedeutendsten Reformatoren Norddeutschlands, geboren. Sein Geburtshaus steht rund 200 Meter vom Marktplatz entfernt.
Hermann Bonnus besuchte die Lateinschule in Quakenbrück, die Domschule in Münster und wurde in Wittenberg Schüler Martin Luthers und Philipp Melanchthons. 1543 oblag Bonnus im Auftrag des Osnabrücker Bischofs die Erstellung und Durchsetzung einer „Christlichen Kirchenordnung und Reformation“ im Osnabrücker Land. An Luthers Bibelübersetzung in die niederdeutsche Sprache war er ebenfalls beteiligt. Diese 1534 herausgegebene Bibel wurde Bonnus Handexemplar. Sie befindet sich im Eigentum der Kirchengemeinde St. Sylvester in Quakenbrück und wird am Sonntag zu Trinitatis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Wie ein Welle ist die Reformation im 16. Jahrhundert über Deutschland gekommen: Was in diesem Jahr in verschiedenen Festveranstaltungen gewürdigt und gefeiert wird, war im Kern eine Protestbewegung. Sie hat, wie man heute weiß, einen radikalen religiösen und geistesgeschichtlichen Umbruch mit sich gebracht. Die Reformation hat ohne Zweifel eine weltpolitische Bedeutung erlangt.
Zwischen Ahlen und Wipperfürth wird in diesem Jahr in vielfältiger Weise den bewegten Zeiten der Reformation gedacht. Vor allem evangelische Gemeinden begehen das Jahr im Zeichen des Jubiläumsjahres. Zahlreiche Veranstaltungen sind Martin Luther gewidmet. In Vorträgen werden seine Bedeutung und sein Einfluss beleuchtet. In verschiedenen Ausstellungen kann man eine Zeitreise machen und dabei erfahren, was damals begonnen hat und bis heute wirkt.
Vor 500 Jahren, am 31. Oktober 1517, soll Martin Luther (1483–1546) seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg geschlagen haben. So will es die Legende, die gewissermaßen den Startpunkt der Reformation bezeichnet. In seinen Thesen hat Luther sich vor allem gegen die Lehre vom Fegefeuer gewandt und den Missbrauch des Ablasshandels angeprangert. Luthers Thesen haben in der Folge eine Diskussion ausgelöst, die schließlich zur Reformation führte. Ihre Veröffentlichung wird allgemein als Auftakt zur Reformation betrachtet, wiewohl man heute weiß, dass diese zeitliche Zuordnung ein nachträglich geschaffener Mythos ist.
Denn zum Gründungsmythos der Reformation wurde der Thesenanschlag erst nach Luthers Tod im Jahr 1546. Vor allem durch Philipp Melanchthon (1497–1560) ist im Nachhinein die Legende begründet worden. Luthers Thesenanschlag von 1517 wurde also bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum Anfang der Reformation stilisiert und damit zur Grundlage von Reformationsjubiläen in evangelisch geprägten Landschaften.
In dem Anspruch des Jubiläumsjahres 2017, für ganz Deutschland gelten zu wollen, zeigt sich ein Problem. Aus der Perspektive der Historiker mag das Jahr 1517 als Auftakt zur Reformation zwar für Wittenberg und Umgebung Gültigkeit beanspruchen, aber nicht für alle deutschen Landschaften. Das zeigt sich auch in Westfalen. Hier finden die Historiker im Jahr 1517 noch eine heile katholische Welt vor. Die Einflüsse der Reformation erreichten diese Region erst vereinzelt in den 1520er Jahren, verstärkt dann in den 30ern des 16. Jahrhunderts.
Gedenkveranstaltungen zum Reformationsjubiläum in Westfalen
Minden auf dem Europäischen Stationenweg
Der „Europäische Stationenweg“ zum 500-jährigen Reformationsjubiläum führt auch über Minden. Das spektakuläre Projekt ist im Herbst des vergangenen Jahres gestartet worden und wurde vor wenigen Wochen in der Lutherstadt Wittenberg beendet. Durch 68 bedeutsame Städte der Reformation in 19 Ländern war der „Show-Truck“ auf Tour. Der Stationenweg führte u. a. nach Wien, Prag, Zürich, Rom, Straßburg, London, Dublin, Malmö, Riga – und nach Minden.
Dass es Minden gemeinsam mit Metropolen wie London und Rom, Wien und Prag in die Liga der Städte auf dem Stationenweg geschafft hat, ist eine kleine Sensation. In Minden löste die Reformation schwere Konflikte aus. Ende 1529 bildete sich ein neuer Rat aus 36 Männern, der das Stadtregiment übernahm und die Repräsentanten der alten Kirche nötigte, den neuen Glauben anzunehmen. Es war der Beginn der Reformation in Minden.
Minden hat einige beeindruckende „Reformations-Geschichten“ zu bieten. Bereits seit den 1520er Jahren hielten der Geistliche Albert Nisius an St. Marien und der zum Pfarrer berufene Heinrich Traphagen an St. Simeonis Predigten mit reformatorischen Inhalten.
Der Widerstand seitens der katholischen Geistlichkeit war groß, aber letztlich setzte sich das evangelische Gedankengut durch. Nisius wurde zwar vor das Domkapitel zitiert, kam aber ohne Verurteilung und Strafe davon; Traphagen wurde im Herbst 1529 in Kerkerhaft genommen. 36 angesehene und couragierte Mindener Bürger schlossen sich zusammen, befreiten Traphagen und setzten ihn erneut als Prediger ein.
Um sich gegen den katholischen Widerstand zu behaupten, holten die Mindener Bürger außerdem Nikolaus Krage nach Minden, der in Wittenberg direkt von Martin Luther ausgebildet worden war, und in Stolzenau predigte. Schon sechs Wochen später verkündete Krage in St. Martini eine Kirchen- und Schulordnung für Minden in Form einer Satzung des Rats der Stadt Minden. Noch im selben Jahr wurde auf der Basis dieser Kirchenordnung eine Lateinschule gegründet. Diese Schule besteht bis heute als Ratsgymnasium der Stadt Minden.
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Ausstellung im Kloster Dalheim
„Luther – 1917 bis heute“
Die Sonderausstellung „Luther – 1917 bis heute“ in der Stiftung Kloster Dalheim im ostwestfälischen Lichtenau widmet sich Frage, ob Luther der Held der Geschichte oder vielleicht gar ein Anti-Held war. Galt Martin Luther im Kriegsjahr 1917 zum 400-jährigen Reformationsjubiläum noch als Nationalheld des Kaiserreichs, und sein Choral „Eine feste Burg“ als Durchhalteparole für die Soldaten, wurde er schon ab 1933 für nationalsozialistische Propaganda vereinnahmt: Luthers judenfeindliche Äußerungen nutzten die Nazis zur Rechtfertigung ihrer Handlungen.
Auf rund 800 Quadratmetern Ausstellungsfläche führt die Reise durch die deutsche Geschichte bis in die DDR. Hier schien Luther aufgrund seiner Äußerungen gegen die Bauernaufstände zunächst nicht als Volksheld geeignet. In den 1980er Jahren wendete sich das Blatt. Nun versuchte die Staatspartei SED, Luther zu vereinnahmen und zum ersten Revolutionär des Landes zu stilisieren. Mehr als 300 Ausstellungsstücke geben Antworten darauf, welches Bild des ehemaligen Augustinermönchs Martin Luther heute vermittelt wird – zwischen Glaube, Politik und Kommerz.
Im Sommer dieses Jahres wird in „Luthers Garten“ in Kloster Dalheim angebaut, was im Haushalt des Reformators auf den Tisch kam – wie einst in dem großen Nutzgarten in Wittenberg. Was hingegen in den Krug kam, können die Ausstellungsbesucher schon heute probieren. Dafür wird im Kloster ein eigenes „Dalheimer Lutherbräu“ gebraut.
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Münsters „Täuferreich“
Die reformatorischen Strömungen, die von Wittenberg aus über das Land zogen, steigerten sich im westfälischen Münster mit der Bewegung der „Täufer“ ins Extreme. Was nach 1517 als religiöser Protest und als Bürgeraufstand gegen die Vormacht des Bischofs begonnen hatte, endete 1535 in einer blutigen Katastrophe. Im „Täuferreich“ wurde die Kindertaufe zugunsten einer Erwachsenentaufe abgeschafft, es kam zu einer Art Bildersturm gegen Heiligenbilder und Altäre. Eine neu eingeführte Gesellschaftsordnung sah Gemeineigentum, Mehrehen für Männer und eine Königskrönung vor.
Der Fürstbischof ging mit brachialer Gewalt und gedungenen Söldnern gegen die Ketzer in der Stadt vor. Sein Sturm auf Münster endete 1535 mit vielen Opfern in der Bevölkerung. Die Anführer der „Wiedertäufer“ wurden gefoltert, hingerichtet und in Eisenkäfigen hoch oben am Turm der Lambertikirche aufgehängt. Dort hängen sie noch heute. In einer Ausstellung erinnert das Stadtmuseum Münster an diese grausame Epoche, mehrere Anbieter führen zum Thema durch Münsters Altstadt und machen die Ereignisse durch ihre Schilderungen wieder lebendig.
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Museum RELíGIO in Telgte
„Gott³ – Juden, Christen und Muslime in ihrer Begegnung von Luther bis heute“
Zum Reformationsjubiläum präsentiert das Telgter Museum RELíGIO vom 22. April bis 3. September 2017 die Ausstellung „Gott³ Juden, Christen und Muslime in ihrer Begegnung von Luther bis heute“.
Historischer Ankerpunkt sind die Schriften Martin Luthers zu Juden und Muslimen, die bis heute zu seinen problematischsten Äußerungen gehören. In der Ausstellung werden die Schriften in den Kontext ihrer Zeit gestellt und der Blick auf Luthers Verhältnis zu Papst und Kirche geweitet.
Die kulturhistorische Ausstellung zeigt, dass sich die Begegnungen der Religionen nicht in einem konfliktreichen Miteinander erschöpfen, sondern weitaus facettenreicher sind. Vielfältige interreligiöse Berührungspunkte belegen, dass die Menschen zu jeder Zeit auf unterschiedliche Weise miteinander umgegangen sind.
Diesen Beziehungen spürt die Ausstellung mit übergeordneten Schlagworten nach. Teilen befasst sich mit den gemeinsamen Wurzeln, Streiten hingegen mit unterschiedlichen Deutungen und Machtansprüchen; Stereotypisieren greift Vorurteile auf, Tolerieren zeugt von gegenseitigem Respekt; Lieben zielt auf die positiven Gefühle zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen, Zerstören und Verschwören auf Hass und Gewalt. Diese und weitere Themen sind mit exemplarischen Leitobjekten vertreten, vom Fragment einer jüdischen Dekalogtafel über Kinderspielzeug mit stereotypen Darstellungen von Juden und Orientalen bis zum wertvollen Astrolabium.
Die heutige Begegnung der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam ist ambivalent. Dabei dienen die Medien als Forum der öffentlichen Diskussion. Die Ausstellung greift eine Reihe aktueller Beispiele auf: vom Burkini über die Beschneidungsdebatte bis zu Lebensmitteln, die religiöse Speisevorschriften von Juden und Muslimen erfüllen. Die Ausstellung regt couragiert zur Auseinandersetzung an. Bildhaft und medial inszeniert sie spannende Themenräume.
Die Ausstellung zeigt eine Fülle von Objekten und Dokumenten aus Museen, Archiven, Bibliotheken und Privatbesitz. Die exemplarisch ausgewählten Themen bieten grundlegende Informationen zu den drei Religionen. Sie zeugen vom Abgrenzen, vom pragmatischen Aushandeln und vom Wunsch nach Toleranz und Frieden bis in die heutige Zeit.